Hallo ihr!

 

Dieses Mal kann ich leider keine lieben Grüße aus Bolivien ausrichten. Aufgrund der Corona-Krise wurden, wie ihr bestimmt schon erfahren habt, alle sich im Ausland befindenden Staatsbürger zurück nach Deutschland geholt. So endete auch unsere Zeit in Bolivien aprupt. Von einem Tag auf den anderen hieß es für uns, Koffer packen, ´adios´ sagen und Abschiedsgeschenke herrichten.

Geschockt von der Nachricht konnten wir es zuerst noch gar nicht glauben. Es hieß  nur: `Haha, dann verstecken wir euch im Bunker´ &´Ne da kommt eh kein Flugzeug an´, oder ´Macht doch einfach nicht mit!`. Dass deutsche Aussagen nicht mit Bolivianischen zu vergleichen sind, versteht hier keiner. Wenn Deutsche etwas in dieser Tragweite sagen, dann wird das gemacht – was nicht unbedingt auf Bolivien übertragbar ist… Alleine die einzige deutsche Schwester hat die letzten Tage zu schätzen gewusst, da sie als Deutsche den Ernst der Lage sofort erkannt hat. Erst als wir mit unseren gepackten Koffern dastanden, haben auch die bolivianischen Schwestern langsam verstanden, dass die deutsche Regierung es ernst meint!

 

Die letzten Tage genießen

 

Durch das Unverständnis der Bevölkerung hier war es anfangs extrem schwer Abschied zu nehmen. Aber wir haben das Beste draus gemacht und die paar Tage, die uns noch blieben, mit Dingen verbracht, die wir schon immer mal machen wollten.

  • Zum Beispiel haben wir das typische cochabambinische Frühstück gemacht. Api & pasteles. Einmal probiert waren wir sofort begeistert davon und wollten es natürlich unbedingt auch lernen! Naja, können tun wir es noch nicht, aber theoretisch wissen wir wie es funktioniert:) Jetzt müssen wir daheim nur noch üben! Man glaubt es kaum, aber diese Überlappungen am Teigrand (s. Bild) zu machen, ist wirklich nicht leicht! Wir haben so viel geübt, aber bis heute ähneln unsere eher einer Teigtasche von dreijährigen Kindern… (die auf dem Bild sind von den Bolivianern gemacht)

 

Die pasteles – mit Käse gefüllt- werden im Fett herausgebraten.

Ratet mal, welche Teigtaschen von uns und welche die der Schwestern sind;)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  • Unsere zweite große Beschäftigung waren Fotos. Uns fehlten noch so viele Bilder von dem Zentrum, aus dem Dorf, unserer Mitarbeiter… einfach alles! In den letzten Tagen haben wir also noch öfters einen Rundgang unternommen – immer mit Kamera in der Hand, um noch einmal alles aufzunehmen und Erinnerungen zu haben.

 

  • Und dann gings ans Geschenke packen! Da hatten wir eigentlich auch Größeres vor… Wir hatten nicht einmal mehr die Möglichkeit Bilder auszudrucken, so wie es bisher alle Freiwilligen gemacht haben. Dann werden wir halt die ersten Freiwilligen ohne Erinnerungsplakat…Auch so konnten wir nichts Großes mehr besorgen, basteln und gestalten. Da hieß es nur, in den Schränken und Koffern nach passenden Sachen zu graben. Aber wir haben für jeden etwas Kleines gefunden.

 

  • Was auch noch angesagt war in unseren letzten Tagen, war das Koffer packen. Und das war nervenauftreibend… Wir sind hier angekommen mit einem Koffer, einem großen Rucksack, einem Handgepäck und einer Laptoptasche. Jetzt durften wir heim mit einem Koffer und einem Handgepäck – und noch dazu nur noch mit 23 Kilo, was bei der Hinfahrt auch nicht

    Keine Sorge, so sah es nicht immer aus!

    so wichtig war. Also haben wir uns erstmal ans Aussortieren gemacht. Unsere Mülleimer haben wir jede Stunde ausgeleert, die Kartons für Geschenke wurden immer knapper und unser Koffer wurde viel zu schnell voll und vor allem schwer… Ich glaube, viermal aus- und wieder umpacken des Koffers reicht nicht!  Andenken, Geschenke und Alpakapullis mussten auf jeden Fall mit. Aber dann bleibt für Anderes nicht mehr viel übrig. Da musste die Kleidung dran glauben. Die Leute vor Ort freuen sich über jedes T-Shirt! Und wir hatten wirklich viele Kisten zu verschenken! Irgendwann hat dann doch alles was allleroberste Priorität hat, in den Koffer gepasst. Wehmütig haben wir jedoch fast alles, das bei unserer Anreise in unseren Koffern war, hier gelassen.

 

Seitdem die Nachricht kam, dass wir zurück nach Deutschland müssen, saßen wir nur noch auf unseren Handys. Bei jeder Nachricht, bei jedem Piepston, sind wir zusammengezuckt und haben gehofft, dass es nicht die Nachricht ist, dass unser Flieger dasteht. Aber trotzdem mussten wir immer auf dem Sprung sein los zu fahren. Für den Weg zum Flughafen, noch dazu in der Regenzeit, mussten wir ja locker 10 Stunden einrechnen.

Unser letzter gemeinsamer Abend in Independencia

Also mussten wir immer darauf gefasst sein, dass eine Nachricht kommt und wir sofort ins Auto springen müssten.  Es kam dann jedoch anders, als in Bolivien alle Grenzen dicht gemacht wurden. Nicht nur die Ländergrenzen, sondern auch die Wege zwischen Städten und zu Provinzen… Also mussten auch wir so schnell wie möglich in die Stadt kommen, da einen Tag später kein Durchkommen mehr sein würde. Der letzte Abend kam dann doch schneller als erwartet. Insgesamt blieben uns nur noch drei Tage in Independencia.

Das Warten ging weiter…

Die nächsten 6 Tage mussten wir dann in Cochabamba verbringen. Dort schliefen wir bei zwei anderen Freiwilligen auf dem Boden. Das Warten dort war echt nervig. Wir saßen fest in einem Zwischenraum, der weder unser Zuhause in Deutschland, noch unser Zuhause in Bolivien war. Wir wollten wirklich entweder zurück nach Independencia, oder mittlerweile auch nur noch heim. Wobei wir uns auch nicht beschweren durften: Die Tage in Cochabamba haben wir den Großteil mit Sonnen verbracht. Hätte nur noch der Pool gefehlt! Noch ein letztes Mal die bolivianische Sonne genießen! Und vor allem die Wärme, bevor es zurück ins kalte Deutschland geht… Und wir haben noch einmal voll und ganz den bolivianischen Markt ausgenutzt. Billig und ohne schlechtes Gewissen noch ein letztes Mal Ananas, Trauben, Orangen, Papayas, oder Bananen essen! Das werde ich echt vermissen…

Den Koffer auf diesen Straßen zu ziehen war auf jeden Fall eine Herausforderung!

Wir waren dann trotzdem wirklich froh, als endlich die Nachricht kam, dass der Flieger bereit wäre. Das ständige Warten ging wirklich auf die Nerven…

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf nach Deutschland!

Am Flughafen war es wirklich seltsam so viele „Weißbrote“ (wie wir so schön sagen) auf einmal zu sehen! Und dazwischen nur vereinzelt einen schwarzhaarigen bolivianischen Kopf. Ich glaube, in diesem Sinne müssen wir uns in Deutschland bald umstellen. Hier wurde man von allen Seiten gemustert und beobachtet, sobald man aus dem Haus geht (Blond und hellhäutig gilt hier als DAS Schönheitsideal überhaupt). Und in Deutschland ist man wieder nur eine unter Tausenden. So viele Weiße auf einem Haufen war auch der Grund, warum es um uns herum nur so von Kamerateams gewimmelt hat. Wir waren heute DAS Highlight im bolivianischen Fernsehen. Ich glaube, ich habe von mindestens 15 Bolivianern irgendwelche Links zu Fernsehsendungen, Facebook-bildern, oder Youtubekanälen bekommen, auf denen wir zu sehen seien.

Kamerateam in Zeiten von Corona

Corona war natürlich auch am Flughafen ein Thema! Bolivianer hatten alle Schutzanzüge, Mundschutz und haben (noch dazu alle zwei Köpfe kleiner als der deutsche Durchschnitt) echt amüsant ausgeschaut. Das alles hat mich eher an eine Invasion von kleinen Marsmännchen in weißen Schutzkitteln erinnert:)

Auch wir wurden auf Fieber gemessen – und das alle 5 Minuten – , wir mussten Bögen zu unserer Gesundheit ausfüllen und immer schön Abstand halten. In Bolivien wurde sogar um einiges mehr darauf geachtet als am Frankfurter Flughafen! Die Bolivianer waren echt auf Trab. Zu der Zeit gab es noch keine 30 Fälle in Bolivien und es waren schon seit 2 Wochen Schulen geschlossen, Grenzen komplett zu und auch im Lande selbst alle großen Straßen abgesperrt. Eigentlich hatten wir damit gerechnet in Frankfurt ebenfalls kontrolliert zu werden, aber es lief ab wie ein ganz normaler Flughafentag. Naja, es waren vielleicht nicht ganz so viele in der Flughalle, aber an die zweitausend kam es bestimmt ran! Da waren die Bolivianer echt fit! Auch im Flugzeug in Bolivien wurde uns bei jedem Aus- und Einstieg Fieber gemessen und Desinfektionsmittel auf die Hände gegeben. Außerdem zählt für alle die Mundschutzpflicht! Und dann erzählt man uns, dass wir nach Deutschland zurück müssen, weil hier alles besser sei…

Nadja beim Fiebermessen – natürlich mit Mundschutz!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Deutschland angekommen waren wir trotzdem alle froh hier zu sein, die Familien zu sehen, den Luxus genießen zu können und vor allem mal wieder – ohne sich besonders konzentrieren zu müssen – alles zu verstehen.

Ich wusste teilweise nicht wirklich, ob die Tränen waren, weil ich mich so gefreut habe, oder weil ich mich von Amelie fürs erste verabschieden musste

Froh und traurig zugleich beim Abschied:)

 

 

 

 

 

 

 

 

Der gravierendste Unterschied, der mir bis jetzt aufgefallen ist, ist das `Perfekte`. In Deutschland ist alles so perfekt, gerade, geordnet, strukturiert… Das fing alleine am Flughafen in Bolivien schon an. Es hieß, dass sich alle in einer Reihe anstellen sollen und alle Deutschen sind sofort aufgesprungen und haben das auf erste Mal gemacht! Auch wir waren natürlich aus Gewohnheit sofort dabei. Erst in der Reihe ist uns dann aufgefallen, dass das schon wieder so typisch deutsch war. Bolivianer hätten da mehr als drei Aufforderungen gebraucht. Auch im Flugzeug ging es weiter. Von oben schaut Bolivien einfach schön, locker und offen aus. Man sieht die Häuser krumm und schief dastehen, so wie sie Lust haben, man sieht die Straßen, die sich irgendwo kreuz und quer durch die Landschaft schlängeln, oder mittendrin aufhören… Dann fliegt man über den Atlantik und kommt in eine ganz andere Welt. Die Felder sind mathematisch auf den Millimeter genau angeordnet, die Straßen verlaufen gerade, geordnet, asphaltiert, die Häuser sind geordnet, in die gleiche Richtung ausgerichtet und sauber. Über Deutschland klebten wir alle an den Fenstern und dachten uns nur so: ´wo kommen wir da eigentlich wieder hin?!´ Weiter gings dann am Flughafen. Es gab Durchsagen, große Anzeigetafeln, Pässe wurden mit Maschinen gescannt… Alles einfach perfekt, geordnet und so distanziert und fremd. Auch im Parkhaus fuhren alle in die richtige Richtung, es war geregelt. Auch allein das schöne, verputzte fünfstöckige Parkhaus sagt alles! Und dann ging es weiter auf die Straßen. Erstmal wieder Anschnallen! Ich habe mich die letzten sieben Monate kein einziges Mal angeschnallt. Und hier saßen wir die vier Stunden perfekt nebeneinander ruhig da. So lange Strecken habe ich in Bolivien nur auf der Ladefläche verbracht! Natürlich ohne Anschnallen, ohne Haltegriffe und ohne Wände. Und es war soo still. Ich habe auf dem ganzen Weg keine einzige Hupe gehört. Das war echt merkwürdig! Anstatt der Hupe wurde hier geblinkt! Und bei Rot wird tatsächlich angehalten! Das habe ich die letzten Monate auch so gut wie nie gesehen. Und dann fährt man ewig Autobahn. So eine Straße, bei der man wirklich schnell fahren kann! Sowas gibt es in Bolivien nicht einmal zwischen den zwei größten Städten. Selbst auf dieser Straße gibt es Löcher im Asphalt, oder teilweise geschotterte Stücke. Aber hei, das macht doch nichts! Auch daheim dann wird das automatische Garagentor vom Auto aus geöffnet und das Auto schön drinnen geparkt. So etwas kennt kein Bolivianer. Vor allem bei uns auf dem Dorf wird das Auto (wenn man überhaupt eines besitzt), bzw. wahrscheinlich eher noch der Esel, einfach auf der Straße geparkt. Da gibt es keine Feuerwehreinfahrten, die freigehalten werden müssen!

Bolivien

Deutschland

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und all diese Unterschiede sind mir alleine auf dem Weg vom Flughafen nach Hause schon aufgefallen. Aber es gibt noch so viel mehr!

 

Aber ich darf mich natürlich auch nicht beschweren über den deutschen Luxus. Es gibt endlich wieder eine Spülmaschine! Und die T-Shirts werden mal wieder sauber! Und man kann einfach Wasser aus der Leitung trinken, bzw. kommt überhaupt etwas aus der Leitung! (Wir hatten in unserem Zimmer seit November kein Wasser mehr) Ehrlich gesagt finde ich es erschütternd, wie schnell man sich wieder an den Luxus hier gewöhnt… Ich schreibe gerade hier am Laptop mit funktionierendem Internet und es fühlt sich so an, als ob ich das schon immer gemacht habe! Ehrlich gesagt ist man schon so im Alltag (soweit man das zur Zeit Alltag nennen kann) angekommen, dass man immer öfter vergisst, dass man eigentlich ja weg war… Aber vielleicht dauert es einfach, das (halbe) Jahr in Bolivien zu verarbeiten.

 

Abschiedsfoto mit den Schwestern – nunca les vamos a olvidar!

Sobald es möglich ist, will ich auf jeden Fall zurück nach Bolivien reisen – auch wenn es nur ein paar Wochen Urlaub sind. Aber meine Liebe zu dem Land, den Bolivianern und unseren Freunden kann mir keiner mehr nehmen. Auch wenn wir hin und wieder unsere Tiefpunkte hatten, möchte ich das Jahr auf keinen Fall missen. Ich habe so viel erlebt, gelernt und erfahren, wie ich wahrscheinlich nie wieder werde. Hoffentlich klappt unsere geplante Reise Ende Juli! Drückt uns die Daumen!

 

 

 

Ganz liebe Grüße erstmal nach Bolivien!

Und natürlich an alle Leser hier in Deutschland!