Liebe Grüße aus Independencia,


Mittlerweile sind wir im Projekt angekommen, in dem wir nun 1 Jahr lang arbeiten, bzw. leben werden. Ein Jahr lang nun hier zu leben, kommt einem vor wie eine ewige Zeit, aber im Grunde ist die Zeit, in denen wir jetzt schon hier sind, vergangen wie im Flug.

 

Unsere Fahrt nach Independencia

Vor circa 2 Wochen sind wir hier in Independencia angekommen. Die Fahrt hierher haben wir im Auto hinter uns gebracht, da uns eine Schwester aus dem Internat dankenswerterweise abgeholt hat. Die nächsten Male werden wir im Bus hinter uns bringen… Im Auto waren wir gute 6 Stunden unterwegs und mussten Pässe bis zu 4000 Metern überfahren – dafür jedoch mit direktem Ausblick auf die beeindruckende Landschaft der Anden! Mitten an den steilen Abhängen vorbei (Leitplanken kennt hier auch keiner) auf einer einspurigen, zwar geschotterten Straße, die jedoch zahlreiche Schlaglöcher hatte oder teilweise Flüsse querte, war vor allem der Weg sehr gewöhnungsbedürftig. Vor jeder Kurve um einen Berg herum, an dem es steil bergab ging, wurde gehupt, um Zusammenstöße zu vermeiden. Wir fuhren immer wieder an kleinen Höfen, Dörfern und verlassenen Häusern vorbei. Das Leben dort ist sehr hart, ohne Wasser, Strom und vor allem ohne Heizung. Es ist wirklich kalt hier! Jeder hält sich selbst Pferde, Esel, Schafe, Hühner… Auf dem Weg standen uns auch immer wieder die Hirten mit ihren Schaf-, bzw. Kuhherden im Weg oder Frauen, die mit ihren bepackten Eseln auf dem Weg waren ins nächste kleinere Dorf waren. Alpakas haben wir leider noch keine gesehen, dafür aber umso mehr andere kleine Tiere. Vor allem die Vögel sind hier echt schön – besonders ein kleiner grüner Papagei. Alles in allem war die Fahrt echt abenteuerlich und sehenswert. Hier sind noch ein paar Bilder unserer Fahrt:

Auf dem Weg nach Independencia

Aussicht aus dem Auto

Als wir dann nach 6 Stunden müde und fertig ankamen, konnten wir uns keinesfalls ausruhen. Noch bevor wir aus dem Auto stiegen, erwarteten uns die Kinder in der Einfahrt mit Fähnchen und Schildchen. Das Beste war jedoch, dass jedes einzelne Kind nun zu uns hinkam, uns begrüßte (Küsschen rechts und links auf die Wange, typisch bolivianisch), Hallo sagte und uns Konfetti ins Haar warf. Nachdem wir von gefühlt 500 Kindern mit Konfetti beworfen worden waren, haben wir ein bisschen zwei Schneemännern geähnelt:) Aber diese Tradition habe ich jetzt schon liebgewonnen. Auch bei jedem Geburtstag oder ähnlichen Festen wird das wiederholt. Auch danach hingen die Kinder an unseren Seiten und löcherten uns mit Fragen. Wir fanden am ersten Tag noch gar keine Zeit unsere Koffer auszuräumen, bzw. unser Zimmer einzurichten. Aber das hat ja noch Zeit! Auf jeden Fall wurden wir von allen sehr herzlich aufgenommen und begrüßt. Ich hoffe diese Herzlichkeit bleibt das ganze Jahr über. Bis jetzt bin ich aber überzeugt davon.

Begrüßung im Internat mit viieeell Konfetti

 

 

Unser Projekt `Centro Social San Bonifacio`

Das Zentrum hier ist für Schulkinder, die mehr als 2 Stunden täglich zur Schule (hin &wieder zurück!) laufen müssten. Sie bekommen hier einen Platz zum Schlafen, täglich warmes Essen, eine Hausaufgabenbetreuung und einen Platz zum Spielen. Hier leben 80 Mädels im Alter von 7 bis 17 Jahren, sowie 25 Jungs zwischen 8 und 14 Jahren. Vormittags ist es ruhig im ´Centro Social San Bonifacio´ (so heißt dieses Internat hier). Die Kinder sind von 8:00 bis 13:00 Uhr im Collegio (die öffentliche Schule in der Stadt). Nach dem Mittagessen müssen die Schüler von 14:30 bis 17:00 Uhr ihre Hausaufgaben erledigen, sowie nochmals eine Stunde nach dem Abendessen. Die restliche Zeit bleibt den Kindern frei, wobei die meisten der Mädels diese Zeit mit Häkeln im Garten und die Jungs auf der Cancha (dem Sportplatz) verbringen. Abends ist hier oft noch irgendein Programmpunkt geboten. So gibt es am Freitag zum Beispiel immer den beliebten Filmabend, an dem verschiedenste Filme, oder Fernsehprogramme gezeigt werden. Außerdem müssen die Internatsschüler hier Donnerstagsabend, sowie am Samstag und am Sonntag in die Kirche der Stadt. Auch vor dem Essen wird einmal täglich das Ave Maria gebetet. Die Kinder ziehen das alle ohne Mucks durch, was mich immer wieder erstaunt. In der Kirche wird kräftig mitgesungen und die Lieder hier sogar tagsüber freiwillig geübt. Die Begeisterung der bolivianischen, bzw. südamerikanischen Kirche generell ist auf jeden Fall sehenswert!

Am Wochenende hat jeder eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, wie zum Beispiel die Blumen zu gießen, die Räume zu fegen, oder den Vogelkäfig zu säubern. Außerdem müssen die Kinder jeweils ihre eigene Wäsche mit der Hand und kaltem Wasser waschen – auch wir haben schon zweimal gewaschen, was aber erstaunlicherweise wirklich relativ spaßig ist, und die Wäsche wurde sogar wieder fast ganz sauber! – Erst im Dezember gehen die Kinder zurück zu ihren Familien, da hier zwei Monate Ferien sind, sowie noch einmal im Juni/Juli. In der Zeit ist keiner hier im Internat anzutreffen, weswegen Amelie und ich die Zeit wahrscheinlich zum Reisen nutzen werden.

Aber zuerst müssen wir uns hier noch richtig einleben. Da wir wegen des Visums in den nächsten Wochen immer wieder nach Cochabamba reisen müssen, haben wir direkt im Projekt noch nicht angefangen. Vormittags werden wir im öffentlichen Kindergarten `San Francisco` in der Stadt eingespannt sein. Es gibt 4 Gruppen unterschiedlichen Alters, in denen wir die Kinder beschäftigen dürfen. Am Nachmittag sind wir entweder in der Hausaufgabenbetreuung im Internat oder in der ´puerta abierta´ aufzufinden. Diese ´offene Türe´ ist für die Dorfkinder wie eine Nachmittagsbetreuung. Sie dürfen hier den Tag lang bleiben und spielen, da die Eltern oft bis am Abend arbeiten müssen. Uns wird also ganz sicher nicht langweilig werden, da wir entweder in diesen zwei Projekten oder dann im Internat immer mit anpacken können. Bis jetzt müssen wir eher schauen, dass wir unauffällig in unser Zimmer gelangen, um mal eine Minute Pause zu haben. Vor allem die Kleinsten hier wollen immer mit uns spielen, was zwar echt süß ist, aber nach einer Zeit auch wirklich anstrengend. Kontakt haben wir bis jetzt vor allem mit den Jüngeren, da hier das Spanisch zweitrangig ist. Brettspiele kann man auch mit Hand und Fuß erklären:) Die Kinder lieben es, uns Flechtfrisuren zu machen (das machen sie wirklich stündlich und jeder hat hier eine geflochtene Frisur!), oder versuchen uns häkeln beizubringen, was bis jetzt noch nicht so erfolgreich ist… Aber bis jetzt hat das jeder Freiwillige früher oder später hinbekommen!

Dienstags, sowie freitags wird am Vormittag Brot gebacken. Das ganze Personal hilft mit, Brote zu formen, auszurollen und auf Bleche zu legen. Amelie und ich haben letzte Woche circa 500 Brote gezählt. Wobei diese nicht die Größe haben wie deutsche Brote, sondern eher wie Kaisersemmeln ausschauen und dabei ganz flach sind. Schwarzbrot oder Körnerteig kennt keiner. Hier läuft das ab wie am Fließband. Jeder hilft mit und weiß seine Aufgabe. Die Brote werden dann in den riesigen Ofen geschoben, nach zwei Minuten rausgeholt, müssen alle umgedreht werden, während die nächsten schon im Ofen sind. Das war echt lustig zuzuschauen, wobei wir das Gefühl hatten, eher noch im Weg zu stehen, als eine wirkliche Hilfe zu sein. Wenn wir das ganze Geschehen irgendwann gut kennen, können wir hoffentlich wirklich mithelfen! Vielleicht schaffen wir es auch irgendwann die Brote rund zu formen, was uns bis jetzt auch noch nicht wirklich gelingt. Aber dafür bringen wir die anderen zum Lachen, wenn wir uns so doof anstellen. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf nächste Woche, wenn wir wieder backen! Auch wenn ich das Schwarzbrot vermisse, kann ich mich sonst über das Essen hier auf keinen Fall beschweren. Es gibt zwar täglich Suppe, Kartoffeln und Salat, aber in so vielen verschiedenen Varianten und Kombinationen, dass es – bis auf die Kartoffeln – auf keinen Fall eintönig wird. Vor allem die Erdnusssuppe, die typisch für Cochabamba ist, ist echt lecker. Das ist eine cremige Suppe mit Erdnussstückchen und Pommes drin. Mmh! Das einzige was etwas nervig ist, ist das Zuckerwasser hier. Bolivianer kennen kein einfaches Leitungswasser oder Fruchtsäfte, sondern geben in jedes Getränk massiv Zucker hinzu… von den ehemaligen Freiwilligen wissen sie zum Glück, dass Deutsche ´normales´ Wasser, bzw. Tee mögen und stellen uns immer einen extra Krug dazu. Danke!

 

Schwester Verena

Gegründet wurde das Internat, sowie auch das Collegio, der Kindergarten und die ´puerta abierta´ 1968 von der Schwester Verena, die als Entwicklungshelferin vor ewiger Zeit nach Bolivien gekommen ist. Nach Independencia ist Verena damals noch mit dem Esel gekommen. Die deutsche Schwester ist im ganzen Dorf bekannt und wird von allen Seiten dankbar begrüßt, sobald sie das Haus verlässt. Vor drei Jahren hat Schwester Verena aufgrund des hohen Alters die Leitung des Internates in bolivianische Hand gegeben. Nun sind drei bolivianische Schwestern die Führungskräfte hier. Auch das ganze Personal ist nun neu, was nach einem Führungswechsel typisch für Bolivien ist. Aber alle die hier arbeiten, sind bis jetzt echt lieb zu uns und nehmen uns freundlich auf.

 

Unser erstes Fest!

Dieses Wochenende war das Gründungsfest Cochabambas. Auch in Independencia, das zur Region Cochabambas gehört, wurde alles gegeben, um ein riesiges Fest zu veranstalten. Schon Wochen vorher tönte durch die ganze Stadt die Musik der Schulkapellen, die sich lautstark vorbereiteten. Die Kinder bastelten Laternen, übten marschieren oder studierten Tänze ein. Das ganze Dorf war in Feststimmung. Donnerstagabend fand dann der Fackelzug statt. Ein Zug, bei dem vor allem die Schüler der zwei Schulen der Stadt mit allen Kindern einmarschierten, aber auch zum Beispiel Mitarbeiter des Krankenhauses oder des Kulturzentrums. Die zwei riesigen Blaskapellen der Schulen, die aus Trommlern, Trompetern und Tenorhörnern bestehen, spielten auf. Für deutsche Ohren hat sich das teilweise gewöhnungsbedürftig angehört, da die Blechblasinstrumente wahrscheinlich noch nie gestimmt wurden. Aber der Klang war hier Nebensache. Die Kinder haben mit so einer Begeisterung gespielt, dass ich mich immer noch wundere, warum die ganzen Trommeln nicht schon längst zerrissen sind, da die Jungs mit so einer Kraft darauf eingeschlagen haben. Zum Takt der Trommeln sind dann alle Gruppen nacheinander einmarschiert. Es ist immer noch stark erkennbar, dass Bolivien früher eine Militärnation war. Sogar die Kleinsten im Kindergarten müssen in Reihe und Gleichschritt laufen. Am Abend war besonders schön, dass alle ihre gebastelten Laternen dabeihatten (vergleichbar mit dem Martinszug in Dtl.). Die Kinder lernen von Anfang an mit so einer Ernsthaftigkeit zu marschieren, die Nationalhymne zu singen und in Reihe zu stehen, dass dieser Zug uns echt beeindruckt hat. Weiter ging es dann am Freitag mit einer Kirche, sowie einem weiteren Festzug. Warum es noch einen Zug gab, verstehe ich noch nicht ganz. Ich glaube, die Bolivianer lieben einfach ihre Feste, sowie das Marschieren und lassen dabei keine Gelegenheit aus! Also haben sich alle am Freitag noch einmal aufgestellt und das Gleiche begann von vorne, nur ohne Laternen. Dafür gab es genügend andere Formationen, Fahnen und riesige Gebilde, wie ein Christo aus Pappe (vgl. Jesusstatue in Cochabamba). Jeder Schritt war einstudiert und der Auf- und Abmarsch der Fahnen somit sehr imposant zuzuschauen. Auch wir durften dieses Mal beim Personal des Sozialzentrums mitlaufen. Ich hoffe, dass wir nicht allzu hilflos ausgeschaut haben. Im Gleichschritt an der Spitze zu laufen und dabei vom ganzen Volk angeschaut zu werden, war echt neu für uns. Aber natürlich auch super, so durch den Dorfplatz zu marschieren und alle Blicke auf sich zu haben. Besonders beeindruckend fand ich auch die Tänze der größeren Mädchen und Jungen. Typisch bolivianisch tanzten sie mit ihren kurzen Röcken, die bei den ganzen Drehungen nur so flogen! Die bolivianische Tanzweise ist um einiges fröhlicher als in Deutschland und wird vom ganzen Volk bejubelt.

Die Jungen im Gleichschritt

Die Mädchenklasse des Collegios

Beim Festzug wurde alles mögliche geboten

Am Abend hatten wir dann auch die Chance das Tanzen mal auszuprobieren. Im Internat wird es bei jedem Feiertag ein Tanzabend veranstaltet. Die ganzen Kinder haben sich in Schale geworfen und freuten sich riesig. Getanzt wird hier immer in Paaren, die sich zwar gegenüberstehen, jedoch, im Gegensatz zu Deutschland, einzeln tanzen. Vor allem die Mädchen waren begeistert, sprangen herum, drehten sich und klapperten mit ihren Ballerinas. Auch uns haben die Mädchen die Schritte gelernt (bzw. es versucht). Die Schritte erinnern ein bisschen an Irish Dance. Lauter kleine, schnelle Fußbewegungen, während man springt und mit den Ballerinas klappert. Das ganze Tanzen war echt anstrengend, vor allem, weil Sport auf fast 3000 Metern ja noch einmal um einiges anspruchsvoller ist. Ich bin gespannt, ob ich jemals so schnell und ausdauernd mithalten kann, wie die Mädchen hier. Stellt euch vor, ihr hüpft 3 Stunden lang immer von einem Bein aufs andere, nur dreimal so schnell und irgendwie noch abwechselnd auf Ferse und Ballen, um schön klappern zu können. Hoffentlich gibt es hier noch öfter solche Tanzabende. Ich muss noch viiiel üben, um mir einigermaßen die Schritte merken zu können. Und trotzdem schaut es wahrscheinlich noch lange nicht so gut aus, wie bei den Kindern, die tanzen, seit sie laufen können.

 

Ich glaube, ich habe jetzt schon wieder viel zu viel geschrieben! Ich melde mich wieder, sobald wir im Projekt wirklich angefangen haben. (vielleicht schon nächsten Dienstag!)

 

Bis dahin, liebe Grüße aus Bolivien

und allen wieder einen hoffentlich schönen Schulstart?

Sophia